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Dienstag, 19. November 2013

Gottes Reich ist keine Baustelle

Schätzungsweise 40 % aller Beiträge in frommen Zeitschriften und ebenso viele engagierte Predigten enthalten die Redewendung „Gottes Reich bauen“. Man achte einmal darauf. Diese Formulierung hat seit Jahrzehnten oder noch länger Hochkonjunktur.

Mittlerweile kann ich kaum noch verstehen, warum es offenbar so schwer zu begreifen ist, wie falsch diese Redeweise ist.

Jesus war von Beruf Handwerker. Man kann ihm durchaus zutrauen, dass er etwas vom Bauen verstand. Doch als den Standard-Vergleich für Gottes Reich hat er nichts aus der Bildwelt des Bauens oder der Technik gewählt, sondern Bilder aus der Natur herangezogen. Bilder des Wachstums. Getreide, Sauerteig, Senfkorn, Wetter, Tageslauf … An zweiter Stelle steht die Bildwelt der Beziehungen.
(Wer es hochgestochen mag: Jesus zog die physiomorphen und die soziomorphen Metaphern deutlich den technomorphen vor.)

Naturabläufe und die Entwicklung von Beziehungen kann ich kaum kontrollieren. Ich kann mich für günstige Bedingungen einsetzen (oder diese vereiteln). Aber was daraus entsteht, entzieht sich meiner Kontrolle. Technische Abläufe kann ich viel eher kontrollieren (außer wenn ich dazu Handwerker brauche. Die entziehen sich jeder Kontrolle … Aber da sind wir schon wieder beim Beziehungsaspekt, beim sozialen Faktor. Wenn der Handwerker erst mal da ist, kann er das Technische kontrollieren). Ist das der Reiz der Redeweise vom Bauen des Reiches Gottes?

Die Fiktion, wir könnten Gottes Reich bauen, suggeriert: Es ist (wenn wir es geschickt genug anstellen oder besonders vollmächtig sind) handhabbar für uns. Wir können die Geschwindigkeit des „Aufbaus“ beeinflussen. Wir können auf früher erbrachten Leistungen aufbauen. Alles das sind, recht betrachtet, kleine feine Lügen.

Das Reich Gottes ist nach dem Sprachgebrauch des Neuen Testaments die „Königsherrschaft Gottes“. Also ein Herrschafts- und Einflussbereich, in deren Mittelpunkt eine Person steht – der König. Seine Herrschaft ist eine Angelegenheit der Beziehung: ob man sich diesem König unterstellt und anschließt oder nicht. Hier wird nichts konstruiert, nichts errichtet.

Eine geradezu bestürzende „Definition“ seiner Königsherrschaft liefert Jesus in Johannes 18,37:
„Da fragte ihn Pilatus: So bist du dennoch ein König? Jesus antwortete: Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit bezeugen soll. Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme.“

Dieser König regiert allein durch seine Zeugenaussage, durch seine „Stimme“. Und seine Herrschaft vergrößert sich in dem Maße, wie einzelne Menschen auf seine Stimme hören. An so einer Königsherrschaft „baut“ niemand mit.

Natürlich gibt es auch die Bau-Metaphern im Neuen Testament. Aber die sind bezogen auf die (lokale) Gemeinde. Oder das individuelle Lebenswerk. Und wenn die Christen nach 1. Petrus 2 ein „geistliches Haus“ aus „lebendigen Steinen“ bilden, dann wird dieses Haus nicht von den Glaubenden gebaut, sondern sie lassen sich einfügen. Passiv.

Gottes Reich wächst. Es kommt nahe. Es ist nahe. Gottes Reich ist dort, wo Gott regiert. Wo Jesus Christus Einfluss gewinnt. Gebaut wird Gottes Reich allerdings nicht.

Meine Prognose: Wenn diese Redewendung aus der christlichen Sprache überhaupt verschwinden wird, dann dauert es jedenfalls noch Jahrzehnte.